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Über Heimito von Doderer – Alexandra Kleinlercher im Gespräch mit Wolfgang FleischerNationalsozialismus
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A.K.: Was war das für eine Reichsidee, die Heimito von Doderer und Albert Paris Gütersloh geteilt haben? Was wäre das für ein Drittes Reich gewesen? W.F.: Ein legitimer Nachfahre des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. A.K.: Da wären aber noch andere Länder dabei gewesen, nicht nur Deutschland und Österreich. W.F.: Ja, aber es wäre eine Führungsstelle der deutschen Nation gewesen. Aus diesem Führungsanspruch, den Hitler im Namen der Rasse gestellt hat, hat sich dieses Mißverständnis wahrscheinlich ergeben. Bei der Beschäftigung mit der Thematik, habe ich mich aber immer wieder gewundert, wie ein Mann wie Doderer mit diesen Rabauken und Rüpeln etwas anfangen konnte. A.K.: Er war sehr elitär, eigentlich erstaunlich, daß er Mitglied einer Massenbewegung geworden ist. W.F.: In der Biographie habe ich den Ausspruch seiner Mutter erwähnt, die die Nazis nicht wählte, mit der Begründung: „Ich kann doch nicht die selbe Partei wie mein Dienstmädchen wählen.“ A.K.: So eine Reaktion hätte man sich bei Heimito von Doderer auch erwarten können. W.F.: Ja, nur hat er offensichtlich angenommen, daß er sozusagen als geborener Aristokrat und „Herrenmensch“ von den Nazis in irgendeiner Führungsqualität anerkannt wird. Ich weiß, wie ehrgeizig Doderer und Gütersloh waren, was ihren literarischen Ruf angeht. Ich glaube ihre Haupterwartung war, daß sie durch den Beitritt in die Reichsschrifttumskammer wichtige Autoren eines mächtigen Regimes werden. Und das hätte ihnen gefallen. Aber kein Mensch war an ihnen interessiert. Das war das Mißverständnis. Als Doderer dann noch zum Militär mußte, was er nicht wollte, war er sauer. A.K.: Ab April 1933 war Heimito von Doderer Mitglied der NSDAP. War er bei Mitgliedstreffen? W.F.: Die Partei wurde nur sechs Wochen nach seinem Beitritt verboten. Es gab keine Treffen und er hat nie an illegalen Versammlungen teilgenommen. A.K.: Und als er von 1936 bis 1938 in Dachau gelebt hat? W.F.: In Dachau hat er sich bemüht, erfolgreich bemüht, würde ich sagen, weil es für den Eintritt in die Reichsschrifttumskammer wichtig war, diesen Beitritt im dreiunddreißiger Jahr anerkennen zu lassen. Er hat in diesen zwei Jahren in Dachau auch Mitgliedsbeitrag gezahlt. A.K.: War er bei den Treffen? W.F.: Das weiß ich nicht. Er dürfte gewisse Zeitungen und Propagandamaterial der Nazis gelesen haben; er zitiert ja auch einige Male aus den Reden. Er dürfte sich im Radio einiges angehört haben, obwohl das fraglich ist. Als ich ihn kannte, hatte er kein Radio und hat es auch entschieden abgelehnt. Gestört hat ihn vor allem, daß man beim Aufdrehen des Radios mit Musik überschüttet wird. Er wollte Musik nur hören, wenn er ins Konzert ging, damit ihn die Musik dann voll traf. A.K.: Er war also vermutlich bei keinen Treffen der NSDAP, weder in Wien noch in Dachau, hat sich aber in Zeitungen über die Partei informiert. Sie schreiben in Ihrem Buch, daß aus Briefen Gusti Hasterliks hervorgeht, daß Heimito von Doderer möglicherweise 1927 die Hitlerbewegung gewählt hat oder zumindest Sympathien für die Partei hatte. Sie warnt ihn davor, weil er sich damit schaden könnte. In dieser ganzen Zeit können doch Albert Paris Gütersloh und Heimito von Doderer nicht mehr an die Verwirklichung ihrer Idee vom Dritten Reich geglaubt haben? W.F.: Nein, deswegen habe ich in der Biographie auch über die regelmäßigen Attentate der Nazis in dieser Zeit geschrieben. Das konnte niemand für harmlos halten. Es kann durchaus sein, daß sich Doderer mit dem Nazipöbel gar nicht auseinandergesetzt hat, daß ihn das gar nicht berührt hat, weil er automatisch davon überzeugt war, ihm würde eine Führungsrolle zugesprochen werden. A.K.: Aber Aristokraten waren doch eher Feindbilder der Nazis, abgesehen vielleicht von denen, die wirtschaftlich für sie interessant sein konnten. W.F.: Das stimmt schon. Die NSDAP war auch nicht gerade eine aristokratische Bewegung. A.K.: Wann, glauben Sie, hat er sich dann wirklich, zumindest innerlich, von der NSDAP distanziert? W.F.: So wie ich glaube, daß er ideologisch nie wirklich ein Nazi war, weil ihn das gar nicht interessiert hat - er hat sicher nicht Mein Kampf gelesen - nehme ich auch an, daß er sich nie konkret von dem, was geschehen ist, distanziert hat. Dazu hat er in seinem seltsamen Essay „Sexualität und totaler Staat“ eine Theorie entwickelt, die er für unerhört wichtig hielt. Er wollte immer, daß dieser Essay in einer ganz besonderen Weise publiziert wird und so ist er zu Lebzeiten schließlich gar nicht publiziert worden. Er hatte eine Zusage vom „Merkur“ in München, aber das war ihm nicht exklusiv genug. Für ihn war das nicht einfach ein Aufsatz, sondern eine Philosophie. In meinen Augen ist er einer konkreten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ausgewichen, indem er seine Theorie entwickelte und sich nur darauf konzentriert hat. A.K.: Seine theoretischen Schriften sind mühsam zu lesen, und was er eigentlich sagen will, ist schwer zu verstehen. Was ist für ihn die Hauptaussage in „Sexualität und totaler Staat“. Warum war ihm dieser Essay so wichtig? W.F.: Er war, wie Oswald Spengler, ein unerhörter Anhänger der Analogien. Er meinte, wenn man genug Analogien begreift, dann erfaßt man das Schicksal. Für ihn war natürlich alles geplant, und im Grunde genommen wehrt er sich in „Sexualität und totaler Staat“ dagegen, daß man etwas rational erfassen kann. A.K.: Sie haben gesagt, daß Doderer einer konkreten Auseinandersetzung entgehen wollte oder entgangen ist, indem er sich hinter seinen theoretischen Schriften versteckt hatte. Könnte man seine Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ als Versuch einer Auseinandersetzung mit seiner Nazivergangenheit sehen? [„Unter schwarzen Sternen“ ist eine stark autobiographisch geprägte Erzählung Doderers. Sie spielt während des zweiten Weltkriegs in Wien, wird aber aus der Perspektive der Nachkriegszeit erzählt. Ein Offizier S, hat, wie Heimito von Doderer selbst, die Aufgabe, Offiziersanwärter für die Luftwaffe zu prüfen. Es gelingt ihm, einen Anwärter vor der Front zu bewahren. An manchen Abenden findet er sich gemeinsam mit anderen bei seinem Freund, dem Rechtsanwalt Albrecht R. ein. Zu den Gästen gehören ebenso SS-Angehörige, Militärs, Leute in Zivilberufen wie Juden, die bei den anderen versteckt leben. Ein von allen bewundertes, von Doderer stark stilisiertes, (nicht-jüdisches) Ehepaar, das in dieser Zeit lebt, ohne die besondere Situation dieser Zeit wahrzunehmen, nimmt ebenfalls an den Soireen teil. Der Offizier S. und ein Freund finden das Ehepaar, das sich vergiftet hat, tot in dessen Bett auf.] W.F.: Darüber habe ich lange nachgedacht und auch öfter mit Wendelin Schmidt-Dengler gesprochen. Wenn, dann wäre sie so verklausuliert, daß sich die Erzählung nicht eindeutig in diesem Sinn interpretieren läßt, so daß ich es eher nicht glaube. Ich denke, dahinter steckt einfach die ganz persönliche Erinnerung an Albrecht Reif und seinen Tod. Ihm sind persönliche Dinge näher gegangen als das Abstraktum Politik. [Albrecht Reif war Doderers Nachhilfelehrer, sein erster Liebhaber und Freund. Er wurde ein bekannter Strafverteidiger, war aber als „Halbjude“ während der Nazizeit gefährdet. Am 19. Februar 1944 wurde er im Alter von dreiundfünfzig Jahren tot auf seinem Sofa liegend vorgefunden, nachdem er am Tag zuvor spät von einer Abendgesellschaft nach Hause gekommen war. So sahen ihn auch Doderer und Gütersloh. Doderers Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ hat Reifs Salon zum Mittelpunkt.] A.K.: Warum hat er das Ehepaar so stilisiert, sollten das Albrecht Reif und seine Frau [Hanni Fürst, jüdischer Herkunft, war allerdings schon vor Jahren mit dem gemeinsamen Sohn nach Italien gezogen] sein, die sich das Leben genommen haben und tot im Bett aufgefunden werden? W.F.: Nein. Ich weiß es auch nicht. Ich finde die Geschichte verstörend rätselhaft. Sie ist eindrucksvoll, und man weiß nicht recht, was man damit anfangen soll. A.K.: Ich hatte schon den Eindruck, daß die Erzählung stark autobiographisch geprägt ist. Sie spielt in SS-Kreisen; ich kann mir vorstellen, daß Doderer tatsächlich Freunde bei der SS hatte, vielleicht stimmt es sogar, daß sie jüdische Freunde versteckt hatten und ihnen noch über die Grenze helfen wollten. Daß es sich hier also um keine erfundene Geschichte handelt, sondern einiges eingeflossen ist, was er selber gekannt hat. W.F.: Sicher. Er war in Wien an der Prüfungsstelle für Offiziersanwärter der Luftwaffe. Dort war er mit einer ganzen Reihe anderer Offiziere zusammen. Da er den ganzen Krieg hindurch bei der Wehrmacht war, dürfte er natürlich auch Umgang mit der SS gehabt haben. Die beiden Söhne seiner Schwester Astri - der Ältere ist gefallen - waren auch bei der SS. An SSlern in seiner Umgebung hat es ja nicht gemangelt. A.K.: Heimito von Doderer behauptet, daß seine Erzählung „Unter schwarzen Sternen“ eine Auseinandersetzung [„Berührung“] mit Krieg und Nazizeit wäre. Er schreibt das Hilde Spiel und auch Ivar Ivask. W.F.: Aber was soll das für eine Auseinandersetzung sein? Wenn es eine Metapher ist, dann habe ich sie nicht gut verstanden. A.K.: Daß er sich überhaupt mit dem Thema beschäftigt, daß er es nicht einfach wegschiebt. Nicht so wie in seinem letzten Roman „Der Grenzwald“, in dem er sich wiederum mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzt, damit er sich ja nicht mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen muß. Wobei ich mich doch frage, ob im „Grenzwald“ der Erste Weltkrieg nicht quasi für den Zweiten Weltkrieg einsteht. W.F.: Das glaube ich nicht. A.K.: Ich dachte das deshalb, weil der Ausgangspunkt für weitere Verstrickungen ein Kriegsverbrechen ist. W.F.: Er wollte vielleicht nur zeigen, daß er auch in der Nazizeit eine übliche Doderer-Erzählung handeln lassen kann, wie in jeder anderen Zeit. Also eine Alibi-Geschichte. Das ist ihm durchaus auch zuzutrauen. Eine echte Auseinandersetzung kann man das wirklich nicht nennen. Wenn ihm dann irgendwelche Leute gesagt haben, warum er sich nicht schriftlich damit auseinandersetzt, konnte er sagen: „Ätsch, da habt's es, habe ich mich doch...“ Er hat eine Erzählung geschrieben, die sehr schön und beeindruckend ist, die aber sicher keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist. Das wäre im Rahmen einer Erzählung auch schwierig. Da sind an die zwanzig Seiten wirklich nicht ausreichend. Ich bin ziemlich überzeugt davon, daß er sich konkret mit der Sache nie auseinandergesetzt hat. Für jemanden wie Doderer, der das Konkrete und Rationale für eine platte Oberflächlichkeit hält, ist klar, daß die Auseinandersetzung in den Tagebüchern und mit der Theorie der Totalität für ihn die einzige richtige Ebene war. Das heißt, man könnte durchaus annehmen, daß er aus seiner Sicht gemeint hat, er hätte sogar sehr viel Zeit damit zugebracht, sich damit auseinanderzusetzen und tatsächlich eine ehrliche Antwort gefunden. Es ist ihm durchaus zuzutrauen, daß er das so gesehen hat. Gesagt hat er es auf jeden Fall so. Daß das für jemanden, der nicht in dieser Gedankenwelt lebt, nicht so überzeugend ist, ist auch klar. Für mich sind die Tagebücher ein unglaublicher Wust von Theorien, die im Grunde niemand braucht. Für ihn war es wahrscheinlich die wirkliche Auseinandersetzung. Eine Auseinandersetzung, wie sie zum Beispiel ein analytischer Historiker führt, wäre ihm zu platt vorgekommen. Das hätte geheißen, sich mit den sichtbaren Oberflächlichkeiten zu beschäftigen, aber nicht mit dem Eigentlichen. Und das Eigentliche ist natürlich für einen Metaphysiker das, was dieser für eigentümlich hält. A.K.: Wann ist seine Begeisterung für das Dritte Reich zurückgegangen? W.F.: Mit dem Krieg. A.K.: Sie meinen, der Bruch war für ihn der Krieg, weil er gewußt hat, jetzt trifft es ihn selbst auch. W.F.: Ich würde sagen, für ihn war das Hauptargument nicht, daß die Nazis einen Krieg führen, sondern, daß sie ihn damit belästigen. Das war ganz egoistisch und hat wiederum nichts mit Ideologie zu tun. Es war für ihn einfach eine momentane Störung. Im Krieg ist er dann viel herumgeschoben worden, er war auch nicht mehr so jung.
Copyright © Alexandra Kleinlercher, Berlin 2006. Dieses Interview ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
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