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Die Familie Hasterlik und ihre Beziehung zu Heimito von Doderer – Alexandra Kleinlercher im Gespräch mit Giulia Hine

Über Heimito von Doderers Romane Die Strudlhofstiege und Die Dämonen

A.K.: Hatte Gusti Hasterlik nach dem Krieg Bücher von Heimito von Doderer gelesen und wenn ja welche? Lasen Sie seine Romane?

G.H.: Die „Dämonen“ und die „Strudlhofstiege“ lasen wir alle. Ich nehme an, daß Gusti alle Bücher von Heimo gelesen hat, kann es aber nicht beschwören. Wir alle waren neugierig, seine Denkweise zu erforschen. Ich stelle mir vor, daß Gusti darin sicherlich noch mehr Munition für ihre Emotionen suchte. Die restliche Familie suchte zu allererst nur die Stellen heraus, wo Familienmitglieder vorkamen. Zu der Zeit kamen so manche kritischen Berichte von Freunden aus Wien, denen die „Strudlhofstiege“ nicht gefiel. By now it is a „classic“.

A.K.: Welcher Art waren diese kritischen Berichte? Ging es dabei um das Werk oder um Heimito von Doderers Nazi-Vergangenheit?

G.H.: Die Wiener Reaktionen auf die „Strudlhofstiege“ betrafen seine Art zu schreiben. In der Briefsammlung wird deutlich, daß meine Familie und deren Freunde zum Teil keine große Meinung von Doderer und dessen Schreiberei hatten. Allerdings ist fast nie von „Nazi“ die Rede, nur von seelischer Kälte.

A.K.: Erkennen Sie Ihre Tante und Ihre Mutter in den Romanfiguren wieder?

G.H.: Ja, ich erkenne alle Familienmitglieder in den Romanen, inklusive meinen Vater [ als Geschäftsmann Cornel Lasch ].

A.K.: Wie war Gusti Hasterliks Reaktion auf die „Strudlhofstiege“ und die „Dämonen“? Konnte sie sich in den Figuren „Grete Siebenschein“ und „Camy Schlaggenberg“ wiederfinden oder lehnte sie diese Darstellungen Heimito von Doderers ab?

G.H.: Gusti fand Grete Siebenschein empörend, es vertiefte nur ihre Wut.

A.K.: Weshalb war Gusti Hasterlik über die Figur der Grete Siebenschein empört?

G.H.: Ich kann nur sagen, daß der Name „Siebenschein“ uns alle äußerst unangenehm berührte, da es ein ausgesprochen abfälliger jüdischer Name ist und Heimos Antisemitismus bis nach der Hitlerzeit beleidigend in unser Gedächtnis rief. Daß er „nix dazugelernt hat“. Sicher hat Gusti noch andere Gründe gefunden. Sie müssen bedenken, daß unsere ganze Familie katholisch war, wenn auch Freidenker und wenig religiös, so doch nicht gewillt, rassisch „eingeschachtelt“ zu werden à la Nazi-Doktrin, den gelben Stern weiter tragen zu müssen.

A.K.: Weshalb ist der Name Siebenschein abfällig? Martin Voracek schreibt in seiner Dissertation über die Figurennamen im Werk Heimito von Doderers u.a. zu der Wahl des Namens „Siebenschein“, daß dieser „prononciert jüdisch“ und von Doderers Zahlenaberglauben beeinflußt sei; für „Schein“ bietet er eine positive und eine negative Erklärung an.

G.H.: Das Erstaunliche für mich ist Ihre Reaktion auf meine Erklärung. Sie ist für mich irgendwie sehr erfreulich, weil es zeigt, wie Sie, die neue Generation, sich gar nicht mehr in die Alte hineinversetzen können. Speziell in die Folgen von Hitlers Rassenpolitik. Da ist große Hoffnung, was Antisemitismus betrifft. Sie und Herr Voracek können den Namen Siebenschein nur auf rein intellektueller Basis erklären. Das ist sehr lustig. Es dreht sich aber um ein Stigma, das kein Mensch angehängt haben will, wie ich sagte: der gelbe Stern. Wie ein Aussätziger behandelt zu werden, verachtet, „subhuman“ und nicht als Mensch und Christ, der die Grete Siebenschein, also Gusti, wirklich war. Die Erinnerung und der Schmerz, den liebsten Menschen, den Vater, getötet zu wissen, verbrannte und verbannte Menschen, die Erniedrigungen, Flucht, Verlust des Vaterlandes, dies alles spielt nach dem Krieg, als das Buch erschien, mit! Nix dazu gelernt. Namen wie Elbogen, Morgenstern, Grünspan, etc. waren ehemals absichtlich wegen ihrer Lächerlichkeit den Juden vorgeschrieben - ein Stigma par excellence. Warum das noch weiter betreiben? Noch mehr dazu erfinden? Warum dem Leser von der ersten Seite weg ein rassisches Vorurteil geben, statt der Möglichkeit, durch Beschreibungen herauszufinden was für eine Persönlichkeit diese Frau ist oder nicht ist? Der Name ist wie ein Brandmal.

A.K.: Der Name „Grete Siebenschein“ stammt nicht aus der Nachkriegszeit, sondern steht für Heimito von Doderer schon seit mindestens 1931 fest. Er erwähnt ihn mehrmals in seinem Tagebuch.

G.H.: Heimo dachte schon 1931 an Siebenschein? Nicht zu verwundern, denn man ist von Kindheit an antisemitisch oder rassistisch, oder was auch immer. Ich weiß nicht, ob Sie sich bewußt sind, daß sehr viele intellektuelle Juden große Antisemiten waren, ebenso in gewisser Weise meine Familie, gegenüber den „Polnischen“, wie man sie nannte, der östlichen und speziell der jüdischen Unterschicht. Sie werden viele antisemitische Bemerkungen in den Briefen finden. Unsere Familie, die Generation Gusti, Mia und Kinder, fühlten sich als kultivierte Weltbürger und nicht als „Handlees“, Alteisen- und Fetzen-Händler. Zu Hause wurden wir Kinder immer ermahnt, nicht zu „jüdeln“, sondern ein gutes Deutsch zu sprechen. Das erklärt Ihnen vielleicht auch, warum es so ein Schock war, als wir plötzlich zu den „Handlees“ gezählt wurden (siehe Siebenschein). Allerdings wurden gern und oft jüdische Witze erzählt, die ja meistens aus einer Selbstveräppelung bestehen.

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Copyright © Alexandra Kleinlercher, Berlin 2005.
Alle Rechte vorbehalten.

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