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Daniela Baumann: Das Frauenbild bei Heimito von Doderer

Daniela Baumann: Das Frauenbild bei Heimito von Doderer (Phil. Diss. Universität Wien 2003).

Ausgangspunkt der von Prof. Dr. Wendelin Schmidt-Dengler betreuten Dissertation war die Annahme, daß das Werk Heimito von Doderers hinsichtlich des darin vermittelten Frauenbildes erstaunlich progressiv sei. Es kamen indes schon bald Zweifel an dieser Modernität auf, es stellte sich insbesondere die Frage, ob Doderers zentraler Begriff der „Menschwerdung“ nicht eher als „Mannwerdung“ verstanden werden müsse, da seine Frauenfiguren von einer solchen Entwicklungsmöglichkeit weitgehend ausgeschlossen zu sein scheinen.

Die Grundlage des weiteren Vorgehens bildete eine Analyse der Voraussetzungen, die das Verhältnis des Autors zum anderen Geschlecht theoretisch wie praktisch bestimmten. Relevant war in diesem Kontext etwa Doderers Rezeption von Otto Weiningers „prinzipieller Untersuchung“ Geschlecht und Charakter, deren Einflüsse sich in vielfältiger, aber keineswegs durchgehend apologetischer Weise in jenem Frauenbild manifestieren, das in seinen Werken präsent ist. Desgleichen von Bedeutung waren Doderers auffallende Betonung der Sexualität, die sich auch in dem für ihn zentralen Begriff der „Apperception“ zeigte, sein ambivalentes und angstbesetztes Verhältnis zu Frauen, das in die Gestaltung von Männerfiguren mündet, die sich durch Voyeurismus, Sadismus oder deren Überhöhung von den ihnen zugeordneten Frauenfiguren distanzieren, sowie seine problematische Einstellung zur Familie, die etwa an der signifikant häufigen Darstellung unausgewogener Partnerschaftsverhältnisse (übermächtiger Vater - schwache Mutter) im Werk abgelesen werden kann. Kurz: bei diesem Autor trafen die Einflüsse einer zeittypischen Misogynie, aber auch die Wirkungen patriarchalisch orientierter Frauen der Elterngeneration mit dem Erleben beängstigend emanzipierter junger Frauen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zusammen.

Die auf Basis der erarbeiteten Prämissen erfolgende Annäherung an die Grundthemen in Doderers literarischem Werk, die sich als Möglichkeiten der Lebensbewältigung zusammenfassen lassen, ergab eine bemerkenswert häufige Darstellung lebensferner Männerfiguren, die eine Nähe zum Lebendigen nicht herstellen können und damit ihre eigene „Lebensbewältigung“ torpedieren. Liebe und Gewalt, Liebe und Tod, Liebe zu einer Toten, Liebesunfähigkeit, Liebesverweigerung - all diese Varianten ziehen sich durch sämtliche Phasen des Dodererschen Œuvres. Plausibel wird diese Darstellung einer Vielzahl gestörter Beziehungen etwa durch die Annahme, daß der Autor seine Figuren anhand ihrer Haltung zum anderen Geschlecht auf ihre jeweilige Menschwerdungsfähigkeit hin überprüft. Ebenso nachvollziehbar wäre aber auch, daß er das Männerproblem als eines der Erstarrung gegenüber einer prinzipiell lebendigen Weiblichkeit begriffen hat. ,Frauenbewegung‘ ist hier allerdings in einem spezifisch männlichen Sinn definiert und ins antifeministische Gegenteil verkehrt. Doderer geht es dabei nicht um weibliche Entwicklungsmöglichkeiten, sondern lediglich um eine Instrumentalisierung der Frauen als Entwicklungshelferinnen auf dem fast ausschließlich Männern offen stehenden Weg zur Menschwerdung.

Eine Anvisierung dieser Problematik aus (spezifisch) erzähltheoretischer Sicht zeigt indes, daß es Doderer weniger um das Verhältnis der Geschlechter als vielmehr um das Verhältnis Mensch - Erotik zu tun war. So legitimiert er die hohe Funktion, die er der sexuellen „Apperceptivität“ beimißt, durch die „nahe Nachbarschaft der Grammatik“ und weist auf die Notwendigkeit hin, „grammatisch und erotisch bereit“ (vgl. Commentarii 1951 - 1956, S. 113f.) zu sein. Damit definiert er Sexualität als Erkenntnisinstrument und setzt sie entsprechend, wenn auch in sehr dezenter, indirekter Weise ein, so daß die Darstellungen sexueller Begegnungen in Doderers Werk dem Leser den Grad der „Apperceptivität“ vermitteln (können), den die beteiligten Figuren erreicht haben.

Um den Blick hierfür zu schärfen, galt es zu klären, wie und hinsichtlich welcher Ziele Liebe und Sexualität in der Literatur im allgemeinen und bei Doderer im besonderen eingesetzt werden. Dabei zeigte sich jedoch, daß neben den aufgrund der Betonung der Sexualität als besonders relevant eingeschätzten Mann-Frau-Beziehungen auch andere Problembereiche nicht unterschätzt werden dürfen. So verweist etwa die für dieses Werk zentrale Vater-Sohn-Thematik in Doderers Roman No 7 auf die offensichtlich nicht bewältigte Jugenderfahrung einer übermächtigen väterlichen Autorität. Damit gerät allerdings auch das in den Dämonen vor allem durch die Figur des Kajetan von Schlaggenberg präsentierte und dem pejorativen Modell des emanzipierten „Sportgirls“ positiv entgegengesetzte Bild der mütterlich-fürsorglichen Frau in ein anderes Licht.

Angesichts dessen, daß Doderer ein Gegensatzpaar wie Geist und Materie in einen Antagonismus von zerebraler und uteraler Vernunft überführt (vgl. Tangenten, S. 548ff.) resp. unterscheidet zwischen nichtwissenden aber philosophierenden Männern und nichtphilosophierenden aber weisen Frauen, steht am Ende die Einsicht, daß er den traditionellen Mann-Frau-Klischees zwar sehr weit, aber keineswegs zur Gänze gefolgt ist und Geschlechts-Stereotypen immerhin modifiziert hat.

Daniela Baumann

Mail an die Autorin

Erschienen in: Gassen und Landschaften: Heimito von Doderers „Dämonen“ vom Zentrum und vom Rande aus betrachtet. Hrsg. v. Gerald Sommer. Würzburg 2004 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft; 3) , S. 491f. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Copyright © Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2004.
Alle Rechte vorbehalten.

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