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Ulrike Schupp: Ordnung und Bruch.

Ulrike Schupp: Ordnung und Bruch. Antinomien in Heimito von Doderers Roman Die Dämonen. Frankfurt a. M.: Peter Lang 1994 (Hamburger Beiträge zur Germanistik; 18). 319 S., Broschur, EUR 52,- SFr 76,-

Ulrike Schupp betont in ihrer Studie vor allem die Komplexität und „Offenheit des Romans“ (S. 12) und stellt sich die Aufgabe, dessen „Vielzahl von Brüchen und Widersprüchen“, die vor allem in der Psyche der Figuren verborgen liege, „transparent“ (ebd.) werden zu lassen. Ausgehend von der kritischen Sicht der Dämonen in den Forschungsarbeiten der 70er Jahre, dem ideologiekritischen Vorwurf der Verdrängung und des konservativen Rückzugs ins Private, strebt Schupp eine Neubewertung an, indem sie den Zusammenhang von privatem Einzelschicksal und gesellschaftlich-historischem Hintergrund, die Signifikanz der in den Dämonen deutlich werdenden Problematik des Subjekts und der subjektiven Weltwahrnehmung - faßbar etwa im Scheitern der Geyrenhoffschen Chronik - für die Krisenhaftigkeit der Zwischenkriegszeit und den Aufstieg des Nationalsozialismus herausstellt.

Die Leistung Doderers besteht für die Verfasserin somit darin, daß er seine eigene Problematik in den Text einschreibt, dabei jedoch gleichzeitig die Ursachen des Faschismus in der Wiener Gesellschaft gestaltet. Das Privatleben mit all seinen unbedeutenden Details und Banalitäten erweist sich als „ausdeutbar“ (S. 23) im Hinblick auf den weiteren geschichtlichen Verlauf. Doderer erzähle „nicht die Geschichte eines Helden“, sondern es gehe ihm darum, durch „die Korrelation der Einzelbiographien“ auf „ein Drittes - die historischen Gegebenheiten des behandelten Zeitabschnittes und der in ihm lokalisierten Lebensläufe“ (S. 12) - zu verweisen. Ein zentraler Aspekt, der sich als „Bruch“ in den Dämonen manifestiere, sei demnach Doderers „persönliche Abkehr vom Nationalsozialismus“ (S. 13). Doderer habe zwar die „nationalsozialistischen Grundgedanken der ersten Fassung“ in den 50er „Jahren einer gründlichen Revision unterzogen“ (ebd.), diese Bearbeitung habe jedoch auch zu Ambivalenzen geführt. Die Verfasserin konstatiert auf der Basis dieses Befundes zwei verschiedene Reflexionsebenen: zum einen diejenige der „erinnernde[n] Rekonstruktion der Nachkriegszeit, aus der heraus die Identifikation mit dem Nationalsozialismus nachvollziehbar wird“, und zum anderen den „kritischen Diskurs“ (S. 14) der 50er Jahre. Demnach wird Doderers eigene Situation nach 1918 „in der psychischen Disposition seiner Figuren, aber auch in ihrer realistisch gezeichneten institutionellen Umwelt und ihrem Überlebensbemühen erkennbar.“ (S. 14) Die Dämonen gewinnen ihre Bedeutung somit nicht zuletzt daraus, daß Doderer in den konkreten Einzelfällen wie auch in seiner persönlichen Entwicklung gesamtgesellschaftlich virulente Phänomene der 20er Jahre aufleuchten läßt.

In ihrer Untersuchung konzentriert sich die Verfasserin neben den Dämonen auch auf Doderers Tagebücher, seine frühen sibirischen Erzählungen und den Grenzwald. Basierend auf historischen, gesellschaftlichen, philosophischen, biographischen und psychoanalytischen Argumenten, arbeitet die Verfasserin eklektisch, indem sie sich diverser Ansätze und Terminologien wie etwa der Psychoanalyse und der Diskursanalyse bedient, ohne allerdings ihrer Arbeit diese oder auch andere Theorien durchgängig zugrunde zu legen. Erzähltheoretisch beschreitet die Arbeit ebenfalls keine neuen Wege und beläßt es beim Stand der klassischen Untersuchung Dietrich Webers. Gelegentliche Bezugnahmen auf österreichische Autoren wie Joseph Roth und Alfred Kubin sollen auch das literarhistorische Feld abstecken, innerhalb dessen Doderer zu verorten ist, dies geschieht allerdings nur mehr oder weniger kursorisch. Hinter einer stellenweise modern anmutenden Terminologie verbirgt sich demnach ein traditioneller Ansatz: Textnah beschreibend, vergleichend und unter Einbeziehung des ideengeschichtlichen, zeit- und literarhistorischen Kontextes ist die Verfasserin in erster Linie an der Motivik und der Figurengestaltung interessiert. Die an sich begrüßenswerte, da auf den Text konzentrierte Arbeitsweise wird jedoch durch das Bestreben, diverse methodische Ansätze aufzupfropfen, um ihre Früchte gebracht, da die Argumentation stellenweise unnötig aufgebläht wird und damit an Stringenz verliert. Ihr Rückgriff auf psychoanalytische Argumentationsmuster erweist sich zudem gerade im Zusammenhang mit Doderer als problematisch, da, wie Kai Luehrs-Kaiser („,Schnürlzieherei der Assoziationen‘. Doderer als Schüler Freuds, Bühlers und Swobodas“. In diesem Band, S. 279 - 292) belegt, Doderer psychoanalytische Termini zwar verwendete, nicht jedoch entsprechend konsequent einsetzte, so daß der Versuch, Motive und Symbole entsprechend auszudeuten, häufig zu wenig konsistenten Ergebnissen führt. Schupps Arbeit resultiert angesichts dieser methodischen Probleme letztlich weniger in einer Öffnung der Diskussion, als vielmehr darin, daß stellenweise gerade die eingangs betonte Komplexität aus den Augen gerät und simplifizierende Analogien zwischen literarischem Text und zeitgeschichtlichem Geschehen hergestellt werden, etwa wenn von dem beobachtenden und gleichgültigen Verhalten Stangelers, Körgers, Schlaggenbergs und Hubert K.s bruchlos ein Bezug zu den nationalsozialistischen Menschenversuchen (vgl. S. 173f.) konstruiert wird. Darüber hinaus nimmt die Verfasserin zentrale Kategorien Doderers wie „Apperzeption“ oder „zweite Wirklichkeit“ zwar auf, unterläßt es jedoch, sie in ihrer Untersuchung ausführlicher zu problematisieren.

In ihrer um differenzierte Betrachtung bemühten Textnähe und ihrer strukturierten Vorgehensweise sowie innerhalb des von der Verfasserin abgesteckten, auf die Figurengestaltung konzentrierten Rahmens bietet die Untersuchung zwar immer noch eine Ergänzung und Hinführung zur Schreibweise Doderers, angesichts der oben skizzierten Einschränkungen vermag sie indes im methodisch-theoretischen Bereich der Dodererphilologie dem aktuellen Stand der Forschung keine weitreichenderen Impulse zu geben.

Yvonne Wolf

Mail an die Rezensentin

Erschienen in: Gassen und Landschaften: Heimito von Doderers „Dämonen“ vom Zentrum und vom Rande aus betrachtet. Hrsg. v. Gerald Sommer. Würzburg 2004 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft; 3), S. 471ff. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Copyright © Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2004.

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