Torsten Buchholz: Musik im Werk Heimito von
Doderers. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris,
Wien: Peter Lang 1996 (Europäische Hochschulschriften
Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur; 1573). 258 S.,
Broschur, EUR 40,40 / SFr 64,- / US$ 51,95 / £ 32,-
Immer wieder werden in Aufsätzen oder Monographien
en passant und wie selbstverständlich die musikalischen
Strukturen von Doderers Prosa angemerkt. Diese Hinweise
haben fraglos ihre Berechtigung, immerhin gebraucht Doderer
musikalische Termini nicht nur in literaturtheoretischen
Notizen (Satz, Tempo, Vorhalt), sondern sogar in den Titeln
seiner Werke ("Divertimento
No VII", "Sieben Variationen über ein Thema von
Johann Peter Hebel", "Sonatine"). Dabei wird jedoch
allzugern vergessen, daß eine Verwendung von Begriffen
noch keineswegs die Existenz der begriffsadäquaten
Fakten beweist. Kurz: die Forschung hat die musikalischen
Strukturen in Doderers Werk im Grunde immer nur behauptet,
sie aber nie wirklich erforscht, geschweige denn sich
überhaupt näher mit ihnen beschäftigt: das
scheinbar Offensichtliche war offenbar stets Faktum genug.
Die bei Peter Lang erschienene Freiburger Dissertation von
Torsten Buchholz unternimmt es, diese Lücke in der
Doderer-Philologie zu schließen.
Buchholz weitgespannte Arbeit untersucht die formale wie die
inhaltliche Rolle der Musik in Doderers Texten von den
Anfängen der 'Divertimenti' bis hin zum letzten,
Fragment gebliebenen Roman Der
Grenzwald und berücksichtigt dabei neben den
Romanen und längeren Erzählungen des Autors auch
dessen thematisch relevante Kurzgeschichten.
Musikwissenschaftlich kompetent, ebenso sachlich wie
überzeugend argumentierend und doch zugleich
unprätentiös in ihrer Handhabung
komparatistischer, literatur- und musikwissenschaftlicher
Begriffsinstrumentarien ist diese Arbeit zweifellos ein
Gewinn für die Doderer-Forschung.
Dies zeigen insbesondere die sachkundigen Ausführungen
zu Doderers Adaption musikalischer Formen in den
'Divertimenti' und den "Hebel-Variationen" (S. 46 - 86), die
jedem, der sich mit Doderers Werk beschäftigt, zur
Lektüre empfohlen seien, da sie Grundlagenwissen zum
Werk dieses Autors bereitstellen, das zu kennen auch bei
anders gelagerten Forschungsinteressen nur von Vorteil sein
kann.
Eher referierend gehalten und - von einigen erhellenden
Detailhinweisen abgesehen - vergleichsweise unergiebig sind
dagegen die Kapitel zu den übrigen frühen Werken,
zum Einfluß Güterslohs, zu Strudlhofstiege,
"Divertimento No 7" und
Dämonen
sowie zu Doderers Erzähltheorie. Sehr spät erst
erkennt man, daß hier nicht pflichtschuldig ein Werk
nach dem anderen abgehandelt wird, sondern vielmehr die
nachfolgenden Kapitel zu den Merowingern
und zum Roman No 7 argumentativ vorbereitet werden.
Indes, diese vorbereitende Lektüre lohnt: Buchholz
Analyse der musikalischen Einflüsse im Merowinger-Roman
ist überzeugend bis zum, genauer: bis auf den letzten
Satz. Darin wird dieser als "groteske[s]
Gegenstück zur Tetralogie des 'Romans Nr. 7'" (S. 193)
definiert, eine Aussage, deren Geltung wohl besser auf die
musikalischen Konnexe beschränkt geblieben wäre,
da Die
Merowinger schlicht zu viele ironische Repliken auf
Motive und Themen der Strudlhofstiege
und der Dämonen
enthalten.
Wirklich riskiert dagegen erscheint die im Anschluß
ausgeführte These einer Übertragung der
musikalischen Formprinzipien des "Divertimento No VII" auf
den als Tetralogie angelegten Roman No 7 (S. 204).
Trotz überzeugender Argumentation für ein
derartiges Schreibprogramm Doderers bleibt da doch das
Problem, daß diese die fehlenden Romanteile
interpolierende Analyse nicht nur mit Unbekannten jongliert,
sondern Doderer auch auf ein Schema festlegt, an das er sich
- und sei es noch so schlüssig - nicht hätte
halten müssen.
Ebenfalls riskiert, aber wesentlich besser von Fakten
untermauert ist Buchholz These einer Ordnung der Romane
Das letzte
Abenteuer, Ein
Umweg, Die
erleuchteten Fenster und Ein
Mord den jeder begeht zu einer
"Vorläufertetralogie" (S. 213f.). Die bisherige
Einteilung: Frühwerk - Wiener Romane - Spätwerk
wird damit vehement in Frage gestellt. Und mit einigem
Recht, werden doch eben diese vier Texte thematisch von
Doderers - seit Mitte der 30er Jahre stark ausgeprägten
- antibürgerlichen Affekten determiniert und so
ebenfalls zu einer Einheit verbunden.
Leider merkt man der Arbeit - insbesondere beim Layout - an,
unter welchem Zeitdruck sie abgeschlossen wurde; so
hängt etwas mehr als die Hälfte der Arbeit
aufgrund einer Seitendifferenz zwischen Inhaltsverzeichnis
und Paginierung geradezu in der Luft. Da Autoren
bekanntermaßen nur sehr eingeschränkt zum
kritischen Leser eigener Texte taugen, wäre es sicher
besser gewesen, wenn man bei Peter Lang vor dem Druck
zumindest einmal in die Druckvorlage gesehen hätte.
Fazit: Buchholz' Untersuchung zur Musik im Werk
Heimito von Doderers zählt sicher zu den
Essentials. Man wird auf sie verweisen und
zurückgreifen müssen.
Gerald Sommer
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Erschienen in: "Schüsse
ins Finstere". Zu Heimito von Doderers Kurzprosa. Hrsg.
v. Gerald Sommer u. Kai Luehrs-Kaiser. Würzburg:
Königshausen & Neumann 2001 (Schriften der Heimito
von Doderer-Gesellschaft; 2), S. 265f. Abdruck mit
freundlicher Genehmigung des Verlages.
Copyright © Verlag Königshausen
& Neumann GmbH, Würzburg 2001.
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