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Paul Elbogen: Der Flug auf dem Fleckerlteppich.

Paul Elbogen: Der Flug auf dem Fleckerlteppich. Wien - Berlin - Hollywood. Hrsg. v. Günter Rinke m. e. Nachwort v. Günter Rinke u. Hans-Harald Müller. Wien: Picus 2002. 200 S., geb., EUR 18,90

Paul Elbogen war in den 20er und 30er Jahren als Schriftsteller und Journalist und insbesondere als Herausgeber auflagenstarker Anthologien im deutschen Sprachraum bekannt geworden. Als er am 10. Juni 1987 bei einem Autounfall im Alter von 92 Jahren starb, zählte er - obwohl bis ins hohe Alter produktiv als Verfasser von Romanen, Kritiken und Essays - fraglos zu den vergessenen Autoren des 20. Jahrhunderts. Sein nicht selten zum Pathos neigender Stil war ebenso aus der Mode gekommen wie die Themen und Stoffe seiner Romane. Von Werk und Person zeugten lediglich ein paar ohne eigentliche Absicht hinterlassene Spuren: die Urheberschaft der für die Arno-Schmidt-Philologie ebenso bedeutenden wie für die Anhänger Karl Mays verstörenden „Elbogenschen Hypothese“, seine scharfe briefliche Kritik an Heimito von Doderers Strudlhofstiege und sein Auftreten als zentrale Figur einer Anekdote im Kapitel „Kaffeehaus ist überall“ in Friedrich Torbergs Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes.

Gleichwohl scheint der Wiener Schriftsteller jüdischer Herkunft, der sich nach seiner Emigration in die USA dauerhaft in Hollywood niederließ, dieses Vergessenwerden zu Lebzeiten ohne Verbitterung akzeptiert zu haben - dies jedenfalls ist der Eindruck, den man bei Lektüre seiner unter dem Titel Der Flug auf dem Fleckerlteppich erschienenen Lebenserinnerungen gewinnt. „Es ist“, so Elbogen in seiner „Nachrede des Autors“ (S. 184), „weder Absicht noch Anspruch dieses kleinen Buches, eine ,Selbstlebensbeschreibung‘ zu sein, wie Jean Paul die seine skurril nannte. Selbstbiographien schreiben berühmte Menschen oder solche, die sich dafür halten, Leute, die für kurze oder längere Zeit eine gewisse Rolle spielten oder zu spielen glaubten, wohl auch aus dem Grunde, um eine postume Rache zu kühlen.“ Sein Buch, so Elbogen weiter, gleiche eher einem „,Fleckerlteppich‘“ zusammengestoppelter „Aufzeichnungen“, mithin ein Befund, der den fragmentarischen Charakter dieses Werkes, in dem weder Zeit noch Ort noch Personal dem Kontinuum des Elbogenschen Lebens entsprechen, durchaus angemessen beschreibt.

Der Flug auf dem Fleckerlteppich beginnt im Jahr 1909 nicht weit von Wien - durchaus passend - mit dem Start des Flugpioniers Louis Blériot zu einem Schauflug und endet - ebenso adäquat - im Jahr 1941 mit der Landung des Autors im Hafen von New York. Die zuerst erwähnte Person der Zeitgeschichte ist der Kaiser Franz Joseph I., der wie der 14-jährige Paul Elbogen zu den Zuschauern der Blériotschen Vorführung zählt, der letzte (prominente) Auftritt zum Ende des Buches gehört Robert Musil nebst Gattin. Ob dieser formale Rahmen wirklich so zufällig ist, wie Elbogen dies mit seinem Wort vom „,Fleckerlteppich‘“ suggeriert, sei hier dahingestellt, in ihm erscheint jedenfalls allerlei literarische, musikalische und filmische Prominenz in lockerer Folge: Peter Altenberg und Sigmund Freud, Karl Kraus und Anton Kuh, Thomas Mann und Ernst Rowohlt, Alban Berg und Arnold Schönberg, Charlie Chaplin, Billy Wilder, Buster Keaton und Marilyn Monroe, um hier nur einige zu nennen, sowie Jakob Wassermann und nicht zuletzt Heimito von Doderer.

Man kann Elbogen schlecht vorwerfen, Doderer komme in seinen Erinnerungen schlecht weg, er erwähnt ihn - vielleicht gerade um „[k] eine postume Rache zu kühlen“ - nur zwei Mal, einmal namentlich (S. 156) und einmal anonym (S. 158) und vor allem ohne ein böses Wort gegen den mit einer brieflichen Kritik an Autor und Werk der Strudlhofstiege offiziell verabschiedeten und also spätestens seit 1951 explizit ehemaligen Freund der 20er Jahre.

(Nimmt man die Anzahl der Erwähnungen als Maßstab, dann zählte Elbogen fraglos zu Doderers wesentlichen Bekannten: in Doderers Tagebüchern 1920 - 1939 rangiert er mit 32 Erwähnungen noch vor Schriftstellerkollegen wie Franz Blei und engen Freunden wie Béla Faludy (je 29) oder dem für das Verständnis von Doderers Gedankenwelt wichtigen Psychologen Hermann Swoboda (14). Lediglich der verehrte „ Meister“ Albert Paris Gütersloh (154), der Kriegskamerad und erste Verleger Rudolf Haybach (39) und sein Erzieher Albrecht Reif (56) finden, sieht man von direkten Verwandten und Doderers Geliebter und späterer Ehefrau Gusti Hasterlik ab, öfter Erwähnung. Was im Januar 1921 als Kontakt zu einem Redakteur ein wenig zwiespältig begann (vgl. Tagebücher 1920 - 1939, S. 15f.), entwickelte sich bald zu einer Freundschaft (vgl. ebd., S. 230, 245 u. 363). Elbogen wird zum wichtigen Gesprächspartner Doderers und zum Ratgeber in literarischen Agenden (vgl. ebd. S. 213, 227, 355 u. 366), beide lesen einander aus ihren eben fertig gewordenen Werken vor (vgl. ebd., S. 176f., 206, 225 u. 227), und noch Jahre nach dessen Weggang notiert Doderer immer wieder Erinnerungen an Elbogen.)

Das bedeutet jedoch keineswegs, daß das von Günter Rinke sorgfältig edierte Buch, dem ein ausführliches Nachwort sowie ein Personenregister beigegeben ist, für Leser, die bisher lediglich im Kontext Doderers auf den Namen Elbogen gestoßen sind, uninteressant wäre. Ganz im Gegenteil: wovon Elbogen erzählt, gewährt nicht selten reizvolle Einblicke ins Umfeld des Autors und vermittelt darüber hinaus einen anschaulichen Eindruck vom literarischen Wien bis ins Jahr 1938. Doch sind dies nur einige der Flicken des Elbogenschen Fleckerlteppichs und Wien ist nur eine Station seines Fluges, der - in stets lesenswerter Weise - von Wien nach Berlin über Florenz nach London zurück nach Wien und über Italien, Frankreich, Spanien und Portugal nach New York und weiter nach Hollywood führt.

Gerald Sommer

Mail an den Rezensenten

Erschienen in: Gassen und Landschaften: Heimito von Doderers „Dämonen“ vom Zentrum und vom Rande aus betrachtet. Hrsg. v. Gerald Sommer. Würzburg 2004 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft; 3), S. 484f. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Copyright © Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2004.

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